Eile mit Weile

(Aldo Keel: Ibsen für Eilige, Aufbau, 2006, S.221, ISBN: 3746621666)

Dass die skandinavische Literatur schon vor Henning Mankel „best-sellende“ Autoren hervorgebracht hat, ist angesichts des erfolgreichen norwegischen Dramatikers Henrik Ibsen nicht zu bestreiten. Viele seiner Dramen waren bereits nach deren Erscheinen in ihrer Printversion selbst noch nach mehreren Auflagen schneller ausverkauft, als sie auf den Bühnen gespielt werden konnten. Oft zogen die Aufführungen Skandale nach sich, denn so gesellschaftskritisch und dabei nah am Zeitgeschehen wie Ibsen schrieb, beabsichtigte sich das bürgerliche Publikum des ausgehenden 19. Jahrhunderts gar nicht zu unterhalten. Doch wer war der provokante Schreiberling, der sein halbes Leben außerhalb Norwegens und doch geistig immer mittendrin verbracht hatte?

Der prominente Skandinavist Aldo Keel wendet sich mit seinem Buch „Ibsen für Eilige“ an die Leserschaft, die bereits von Henrik Ibsen gehört hat jedoch nicht über so viel Freizeit verfügt, um jedes seiner Werke zu lesen und zu durchdenken. Nach einem Prolog über die Epoche und das Leben des Dramatikers führt er daher in die wichtigsten seiner Werke ein. Dabei wird jedoch keineswegs nur die Handlung nachvollzogen. Vielmehr erfolgt nach einer kurzen Einführung in die allgemeine Problematik des jeweiligen Stückes die Erläuterung des gesellschaftlichen und politischen Hintergrundes und der zeitbezogenen Situation in Norwegen. So wird zum Beispiel das Stück „Stützen der Gesellschaft“ unter anderem vor der historischen Kulisse der Auswanderungen nach Amerika oder „Nora. Ein Puppenheim“ im kulturellen Kontext der beginnenden Emanzipation der Arbeiter und Frauen wie August Bebel sie seiner Zeit forderte betrachtet. Keel verweist dabei vergleichend mit dem restlichen Europa auf andere Autoren und Zeitgenossen Ibsens.

Darüber hinaus werden wichtige biografische Details aus dem Leben des Norwegers und auch eigene Aussagen in Zusammenhang mit den entsprechenden Texten gebracht. Schnell wird klar, dass Ibsen mit seinen Stücken stets auf der Höhe seiner Zeit war. Er brachte sich mit ihnen in aktuelle Debatten ein und nahm aktiv am Tagesgeschehen teil. Anhand von Keels Interpretations- und Deutungsansätzen werden Themenkomplexe freigelegt und die damalige Brisanz des Werkes aufgezeigt. So beschäftigte sich der Dramatiker mit der Emanzipation der Frauen von ihren Ehemännern (z.B. „Ein Puppenheim“, „Gespenster“) oder mit gesellschaftlichen Umbrüchen mit denen das in Konventionen erstarrte Bürgertum seiner Zeit konfrontiert war. In „Ein Volksfeind“ wählt er zum ersten Mal einen Angestellten als Held seines Stückes und verarbeitet gleichsam die Abschaffung der Zensur in Norwegen. In „Rosmersholm“ thematisiert er die freie Liebe und in „Die Frau vom Meer“ erweist er sich bereits Freud und der Psychoanalyse voraus, als er sich 1886 interessiert an Hypnose zeigt und überhaupt in allen seinen Werken immer wieder die These vom Lebensglück eines rational gelenkten Menschen verwirft.

Die einzelnen Kapitel des Buches folgen der Chronologie der Stücke. So werden „Peer Gynt“, „Stützen der Gesellschaft“, „Ein Puppenheim“, „Gespenster“, „Ein Volksfeind“, „Die Wildente“, „Rosmersholm“, „Die Frau vom Meer“, „Hedda Gabler“, „Baumeister Solness“, „John Gabriel Borkman“ und „Wenn wir Toten erwachen“ in dieser Reihenfolge und nach den oben genannten Kriterien untersucht. Im Anhang findet der Leser zudem gesondert eine Zeittafel zu Leben und Werk Ibsens sowie Daten zur norwegischen Geschichte.

Der 1948 in Zürich geborene Skandinavist, Autor, Herausgeber, Übersetzer und Kritiker Aldo Keel bietet mit „Ibsen für Eilige“ eine leichte Einführung in das Werk und die Figuren des Norwegers, die zwischen dem Anspruch auf persönliches Glück und ihrer Lebenslüge hin und her gerissen immer auf der Suche nach einem anderen Leben sind. Keel macht Lust auf mehr Ibsen. Daher werden alle Eiligen, die dieses Buch als guten Einstieg sehen, auch die Literaturhinweise ganz zum Schluss des Buches zu schätzen wissen.


veröffentlicht auf literaturreport 2009
Copyright © 2009 Corinna Hein