Hilfreich bei Einschlafschwierigkeiten

(Rita Mae Brown: Da beisst die Maus keinen Faden ab. Ein Fall für Mrs. Murphy, Ullstein, 2006, S. 287)

Ein Mord ist geschehen - schon mal ein guter Anfang für eine Kriminalgeschichte. Zudem verspricht die Tatsache, dass hier eine Detektivin (Mary Minor Harristeen, Harry genannt) nebst ihren zwei altklugen Katzen Mrs. Murphy und Pewter sowie ihrer treuen Corgihündin Tee Tucker in einem kleineren amerikanischen Kaff leben und ermitteln, einen gewissen Unterhaltungswert.

Doch schon die ersten Seiten des Romans mit den Kurzcharakteristika der handelnden Personen lassen den Geschmack von Schulpflichtlektüre und vom Verlangen einer Deutschlehrerin nach Gruppenarbeit, in deren Anschluss die Auswertung nach Schema F für alle die erfolgt, die selbstständigem Denken nicht so aufgeschlossen gegenüber stehen und denen nun wenigstens die Hauptakteure und die wesentlichen Teile des Plots klar werden sollen.

Vielleicht wäre es tatsächlich gut gewesen auch noch eine Zusammenfassung voranzustellen, so dass man sich die langatmige Einleitung zur Geschichte der Gegend, die spirituelle Reise der arbeitslos gewordenen Postfrau-Detektivin in ein Kloster, in welchem die um Hilfe angeflehte Marienstatue just Blut zu weinen beginnt (Tun sie das nicht alle irgendwann?) und die mäßig spannende Jagd nach dem Mörder des 82-jährigen Frater Thomas und des Sensationsjournalisten Nordy Elliott hätte auch ersparen können. Die Identität des Mörders ist für den Leser spätestens nach einem Drittel des Romans offensichtlich. Somit verwundert es auch nicht, dass die Tiere, welche hier die kriminalgeschichtliche Rolle des unvermeidlichen Dr. Watson übernehmen, praktisch kaum zu Wort kommen. Welche Reaktionen des Lesers sollen sie noch vorweg nehmen, wenn dieser ihnen bereits Meilenweit voraus ist?

"Da beißt die Maus keinen Faden ab" ist der bisher letzte einer ganzen Reihe von Katzenkrimis der US-amerikanischen Schriftstellerin Rita Mae Brown. Mit ihnen hat sie sich eine große Fangemeinde erschrieben, die ihre Romane um dieses detektivische Quartett zu Bestsellern werden ließen und der Autorin auch in Europa zu einem gewissen Bekanntheitsgrad verholfen haben. Ihre liebevolle Figurenzeichnung (vor allem der sonst vordergründig fröhlichen und energischen Harry), die Konstruktion eines kleinen Ortes in Virginia namens Crozet, der nur durch Klatsch und Tratsch zusammen gehalten wird, und die ungewöhnlichen tierischen Hauptakteure boten ein kurzweiliges Lesevergnügen.

Nun jedoch gehen der Autorin die Ideen aus, so dass einige den Fans liebgewordene Figuren plötzlich die absurdesten Wandlungen durchmachen müssen: Olivia Craycroft, die aufgrund ihres Verschleißes von Liebhabern nicht umsonst in ganz Crozet als "Boomboom" bekannt ist, entdeckt kurz vor der Midlifecrisis noch ihre homoerotische Seite und mutiert zur ersten Lesbe am Ort. Hinsichtlich Harrys verlässlicher und biederer besten Freundin Susan stellt sich heraus, dass sie ein uneheliches Kind aus einem Seitensprung hat - alles nicht sehr stringent und möglicherweise der Tatsache geschuldet, dass die Kriminalhandlung an sich so wenig Spannung birgt, dass sie mit solchen "skandalumwitterten" Entwicklungen kompensiert werden muss.

Andere in den vorangegangenen Romanen detaillierter gezeichnete Figuren treten ganz in den Hintergrund und nehmen dem Ort somit einiges von seiner Vertrautheit für den Leser. Dazu kommen die nervigen religiösen Diskurse der um die weitere Existenz ihres Ordens fürchtenden Mönche wie: "Sogar unsere Leiden sind ein Zeichen seiner [Gottes, A.d.V.] Liebe, denn sie werden euch auf den rechten Weg führen.", und die relativ belanglosen "Gespräche" unter den Tieren, die vermutlich mehr Witz und Pep in den Roman einbringen sollten, was ihnen jedoch nicht gelingt - zumal sich diese mit Hilfe von Tee Tucker ebenfalls als absolut bibelfest erweisen. Irrwitzig schon fast, wenn ein Hund aus dem fünfen Buch Mose zitiert - für den Leser noch ein Grund mehr zum ungehaltenen Stöhnen.

Für hart gesottene Krimifans ist diese Katzenkrimireihe nicht geschaffen. Zu sehr rücken die Frauen von Crozet und ihre Lebens- bzw. Liebesgeschichten in den Vordergrund der Handlung. Für literarische Genießer eignet sich der Roman ebenfalls nicht, denn der Stil der Autorin wirkt auf keine Art besonders - eher kitschig: "'Aber Susan, wenn wir ihn finden, willst du deinen Onkel Thomas wirklich so sehen, wie, hm, wie auch immer wir ihn vorfinden?' - ,Ich sage mir, die Seele hat den Körper verlassen. Was immer wir finden, ist eine Hülle. Und ich sage mir, dass er etwas Besseres verdient hat.' […] ,Ich habe da so eine Vorahnung. Harry, ich spüre irgendwie, dass er nach mir ruft. Ich habe eine Schuld abzutragen, aber ich weiß nicht, was für eine."'

Fans werden den Roman aus Loyalität dennoch kaufen und Brown zu ihren Mäusen verhelfen. Für alle anderen gilt: eine nette Bettlektüre, sehr wirksam bei Einschlafschwierigkeiten und unter diesen Umständen sogar zu empfehlen.
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veröffentlicht auf literaturreport 2007
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